Die Logik des Glaubens & die Entwicklung der Moral

Dieser Beitrag, enthält eine interessante Stellungnahme einer Psychologin, die mit der Frage konfrontiert wird: “Warum glauben so viele (intelligente) Menschen an einen Gott? Eine Frage, die ich mir auch stellte und diesen Beitrag daraufhin fand. Und da einige Mitmenschen eine sachliche, rational und intelligente Erklärung ernst nehmen, möchte ich diese gerne einmal als Gastbeitrag zu meinen Blogbeiträgen hinzufügen.

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Einer meiner Psychologie-Dozenten hat einmal die These aufgestellt, dass der Grund dafür, dass die Mehrheit der Menschen an einen Gott glaubt, eine unbewusste Kosten-Nutzen-Abwägung ist. Entweder gibt es einen Gott oder es gibt keinen, entweder man glaubt an einen Gott oder nicht.

Somit gibt es (Agnostiker außen vor gelassen) vier mögliche Resultate: Fall 1: Person X glaubt an Gott und es gibt einen Gott. Fall 2: Person X glaubt an Gott, es gibt aber keinen Gott. Fall 3: Person X glaubt nicht an Gott und es gibt auch keinen Gott. Fall 4: Person X glaubt nicht an Gott, aber es gibt einen Gott. Wenn man nun annimmt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Gott existiert genauso groß ist wie dass Gott nicht existiert, hat unsere Person X also eine 50 % Chance richtig zu liegen. Was passiert aber nun wenn X falsch liegt?

Nun, wenn X an Gott glaubt obwohl es keinen Gott gibt, passiert gar nichts. Wenn man davon ausgeht, dass es, wenn es keinen Gott gibt, auch kein Leben nach dem Tod gibt, wird X seinen Fehler nicht mal bemerken, denn wenn er tot ist existiert sein Bewusstsein nicht mehr. Was ist aber, wenn X nicht an Gott geglaubt hat und nach seinem Tod feststellt, dass er sich geirrt hat? Nach Lehrmeinung der meisten Weltreligionen hat unser X jetzt ein ziemliches Problem, sitzt im schlimmsten Fall im Fegefeuer und denkt sich: Mist, hätte ich mal an Gott geglaubt. Mein Dozent meinte deswegen, dass es rein logisch-pragmatisch betrachtet eine gute Idee ist an Gott zu glauben. Laut dieser Theorie ist der Glaube an Gott also so etwas wie eine Versicherungspolice.

Ich fand diese These immer interessant, konnte mich aber bis jetzt immer noch nicht entscheiden ob ich glaube dass mein Dozent mit dieser Vermutung Recht hat. Damals, mit Anfang 20, widerstrebte mir der Gedanke daran, dass Menschen tatsächlich so entscheiden, ob sie an Gott glauben oder nicht. Das erschien mir doch reichlich prosaisch [nüchtern, sachlich, trocken, ohne Fantasie. Anm.FZ] bei so einem essentiellen Thema. Heute halte ich es für gut möglich, dass diese "Überlegung" unter- bzw. halbbewusst zur Entscheidung vieler Menschen an Gott zu glauben beiträgt. Nach wie vor glaube ich aber, dass sich so etwas Essentielles wie Glaube nicht auf eine statistische Gleichung (und das ist dieses Bild im Grunde) reduzieren lässt. Dafür gibt es noch zu viele andere Punkte zu berücksichtigen. Zum einen geht dieses Modell davon aus, dass weder der Glaube an Gott noch der Glaube an dessen Nichtexistenz einen Einfluss auf die Lebensqualität eines Menschen hat. Und hier hinkt das Modell. Schließlich gibt sich keine Weltreligion damit zufrieden, dass unsere Person X einfach nur an Gott glaubt - nein, es gibt je nach Religionsgemeinschaft einen mehr oder weniger umfangreichen Verhaltenskatalog nachdem sich X richten muss, um von seinem Glauben an Gott profitieren zu können.

Wenn es Gott gibt lohnt sich das am Ende, wenn es Gott aber nicht gibt dann hat unser armer X ganz umsonst auf Lügen und Ehebrechen verzichtet und immer lächelnd die andere Wange hingehalten, wenn ihm jemand etwas angetan hat (hier gehe ich von einem christlichen Gott aus, aber entsprechend funktioniert das Schema natürlich auch bei anderen Religionen und deren Normen). Andererseits werden Regeln von vielen Menschen nicht in erster Linie als Belastung, sondern als Leitlinie gesehen, die ihnen das Leben vereinfacht. Man muss nicht mehr im Einzelfall entscheiden, was richtig und was falsch ist, es gibt bereits einen fertigen Regelkatalog, seit Jahrtausenden erprobt - genau genommen gibt es sogar mehrere. Wir werden ja immer verbraucherfreundlicher in unserer postmodernen Gesellschaft. Wenn wir ein neues Smartphone kaufen wollen vergleichen wir die Modelle bequem online, vor einer Wahl hilft der Wahlomat weiter und wenn man gerne einen ethischen Reiseführer fürs Leben hätte braucht man sich nur eine Religion auszusuchen - je nachdem wie viele Vorschriften man braucht bzw. erträgt. Und so sehr es mir widerstrebt das zuzugeben: Die meisten Menschen wollen und brauchen Autoritäten, die ihnen sagen was zu sie tun und zu denken haben.

Das wusste schon der bekannte Psychologe, Pädagoge und Moralforscher Lawrence Kohlberg (1927-1987). Von ihm stammt die Stufentheorie der Moralentwicklung. Laut Kohlberg gibt es sechs Stufen der Moralentwicklung, die jeder Einzelne im Verlauf des Erwachsenwerden durchläuft, wobei allerdings die wenigsten die beiden höchsten Stufen erreichen.

Die ersten beiden Stufen bilden zusammen die präkonventionelle Ebene und entsprechen dem Moralempfinden von Kindern bis etwa ins Grundschulalter hinein. Erwachsene, die auf einer dieser Stufen stehen bleiben, ecken in der Gesellschaft meist an und werden nicht selten straffällig. Auf Stufe 1 orientieren Menschen sich an Strafe und Gehorsam - Menschen unterlassen nur Verhalten für das sie bestraft werden. Auf Stufe 2 folgen die Menschen dem "Eine Hand wäscht die andere" Prinzip. Für hilfsbereites Handeln wird eine Gegenleistung erwartet, wenn einem jemand einen Gefallen tut hat der später etwas gut.

Nun kommen wir zu den Stufen 3 und 4, die gemeinsam die konventionelle Ebene bilden - die meisten Menschen bleiben ihr Leben lang auf einer dieser Moralstufen. Auf Stufe 3 möchten Menschen ihren Liebsten gefallen - gut ist, was die Eltern/die Freunde/der Partner erwarten. Auf Stufe 4 wird dieses Prinzip im Grunde nur abstrahiert: Man orientiert sich "an Recht und Ordnung" und tut was der Gesetzgeber, die Gesellschaft oder auch religiöse Autoritäten erwarten. Das ist sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft herrlich bequem, denn Menschen auf Stufe 4 (laut Kohlberg die meisten Erwachsenen) sind herrlich pflegeleicht. Und das ohne sich selbst dabei allzu sehr zu verausgaben. Man muss sich den Kopf nicht täglich mit unnötigen Grübeleien über richtig und falsch zermartern, das haben religiöse Autoritäten nämlich freundlicherweise schon für uns erledigt. Als ich diese Theorie im Pädagogik-Leistungskurs zum ersten Mal hörte dachte ich entsetzt: Was, so sollen die meisten Menschen denken? Ist die Menschheit wirklich so dumm? Aber heute glaube ich nicht mehr, dass nur oder überwiegend dumme Menschen auf Stufe 4 der Moralentwicklung hängen bleiben. Denn diese Stufe ist - wie schon erwähnt - für alle Beteiligten die Bequemste. Jeder Einzelne hat im Alltag unzählige Dinge im Kopf - Ressourcen sparen ist da nicht nur sinnvoll, sondern lebensnotwendig.

Das Leben der Menschen, die Ebene 5 oder 6 der Moralentwicklung erreichen ist nämlich ziemlich kompliziert. Auf Stufe 5 lebt der Mensch die Idee eines Gesellschaftsvertrags - und nein, das ist nicht das Gleiche wie Ebene 4, absolut nicht. Moralische Normen werden nämlich auf Ebene 5 grundsätzlich hinterfragt. Ein "guter Christ" auf Ebene 4 käme z.B. nie auf die Idee das Gebot "Du sollst nicht Ehe brechen" zu hinterfragen. Ein Mensch auf Stufe 5 würde darüber nachdenken, ob die Menschheit nicht vielleicht mit einem "freie Liebe und offene Ehen" Konzept besser bedient wäre. Und das tut jemand auf Ebene 5 bei jeder einzelnen moralischen Frage, jeden einzelnen Tag. Auf Stufe 6 wird es noch mal komplizierter - Ein Mensch auf Stufe 6 richtet sich nur noch nach universellen ethischen Prinzipien, losgelöst von geschriebenen und ungeschriebenen gesellschaftlichen Regeln. Es ist nicht überraschend, dass diese Stufe nur 5 % der Menschen je erreichen. Diese Menschen sind die großen Denker ihrer Generation, die Philosophen und Schriftsteller über die man noch hunderte Jahre später spricht - oder sie enden in Psychiatrien, weil sie an der täglichen Aufgabe zerbrechen jede einzelne Entscheidung neu philosophisch zu begründen - oder auch beides. Da haben es die Leute, die einfach tun was die Religion ihnen sagt so viel leichter.

Zuletzt noch ein rein emotionaler Aspekt: Die Verarbeitung von Trauer. Jeder Mensch erlebt im Laufe seines Lebens zwangsläufig große Verluste. Wir verlieren Menschen ohne die unser Leben so unglaublich viel ärmer ist. Und das ist wahrscheinlich der größte Schmerz, den man im Leben erfahren kann - noch größer als die Angst selbst nach seinem Tod einfach nicht mehr zu sein. Mascha Kaléko drückte es in ihrem Gedicht "Momento" so aus:

"Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben."

Und das Leben mit dem Tod der Liebsten ist so viel leichter mit dem Glauben, dass diese Persönlichkeiten, die einfach zu groß, zu wichtig, zu besonders waren um einfach nicht mehr zu existieren noch irgendwo sind - und zwar an einem guten Ort, an dem wir sie eines Tages wieder sehen werden.

 

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